Lumumba, statt Samba

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Düt Stücksken is nu es in Hauchdüütsch för sücke, de tüsken Hiärwst un Winter bi den Novemberblues all mit nen Fimmel laupet un för de ännern, de nich minner fimmelig vör den November laupen gaoht. Dat mott nich. Dat geiht auk guet anners. Also, nu es uppassen:

Treiben die Nordatlantik-Zirkulationen durch aufsteigende Winde Tiefdruckgebiete vor sich her, bedrängen uns hier im Norden nordwestliche Strömungenmit nassen Böen und plörrenden Schauern. Hier ist es dann „am schiefregnen“. Das ist keine Zeit für Touristen. Für die Bayern schon gar nicht. Da bleim se lieber houm, denn das is nix für den föhnverwöhnten Gamsbart am Trachtenhut. Gott bewahre! Und wie könnten sich bei so aa‘m Nordwest wohl erst die weiten Dirndl blähen? „Och“, würden se hier sagen, „gar nich um kümmern.“

     Hier an der Ems reagiert man bei aufkommenden nordwestlichen Strömungen gelassener, „Hauptsache Fenster und Türen sind alle gut zu.“ Das gilt besonders für freistehende Gebäude oder für so Ecken, durch die der Nordwest gerne auch fauchend mal stromert oder stromerte. Alte Straßennamen künden noch heute davon.

     Da im Nordwesten vor gar nicht allzu langer Zeit Plattdeutsch die Umgangssprache war, haben immer noch viele Straßen und Wege bezeichnende plattdeutsche Namen; in Münster, der Hauptstadt Westfalens, haben von 91 Straßen der Altstadt 21 einen plattdeutschen Ursprung. So zum Beispiel „Windbreede“(in der Bedeutung einer Breitseite des Windes); oder auch „Im Windhoek“(Straßenecke, wo sich der ungestüme Wind fing und wohl mächtig an die Luken rüttelte). Deswegen: „Luken dicht und aufpassen, dass es nicht zieht“, dann ziehts draußen wophl beizeiten vorbei. Dann soll’s män wehen und schauern, „gar nich um kümmern.“

     Dennoch kann sich, besonders im November, bei allzu Feinfühligen das Graupelgrau aufs Gemüt legen. Und dann? „Nich gleich vor so ’n Wetter auskneifen“, ist das „hömnopatische“ Geheimrezept der Emsanrainer. Überhaupt wird im Nordwesten gerne Hahnemann (1755 – 1843) mit seiner Erkenntnis zitiert, Ähnliches mit Ähnlichem anzugehen. Nur nicht so drastisch. Also nicht gleich wie die wilden Gesellen, vom Sturmwind durchweht, die Quanten (Füße) in ’e Gummibotten und gegen die nordwestlichen Strömungen trotzig den Südwester auf ’n Kopp. So doch nicht! Andererseits aber auch nicht gleich „die Decke über ’n Kopp“. Dafür „bei so ’n Wetter lieber auf de Couch un schön die Beine hoch.“ Ganz einfach. Das Rechte tun, was man so kann, und schön dabei män sachte an. Was mehr? Nix. Gar nich um kümmern.

     Und Sie? Was meinen Sie? Ich meine, was sollen Sie schon meinen? Ihnen geht’s doch gut, oder? Sie lesen ja gerade. Oder doch lieber Samba? 

     Selten, dass sich hier im November bei Batida de Coco der Samba durchsetzen könnte. Er ist nun mal ein stiller Monat, der November; ein Monat mit oft grauen Tagen, wo es tagsüber, feuchtklamm, gar nicht so recht hell wird. Nebel wabert verhangen übers Land. Doch es scheint, er umhüllt auch die Gedanken, die, oh je, nicht minder lichtlos, das Gemüt eintrüben.

     „Dagegen lässt sich was machen“, ist der nordwestliche Konter, „ja nich gleich laufengehen!“ Das tun aber welche. Besonders solche, die vor dem Novemberblues flüchten. Mit Samba. Sie überfliegen die nordwestlichen Strömungen in gut vier Stunden, putzen dabei schon mal ihre Sonnenbrillen und schlürfen alsdann süffig den ersten Sangria; sie, beschattet unter einer schicken Hanfhutglocke, er, von wegen seiner beginnenden Glatze, fesch sombrerobehütet. Olé! Statt dass die Blendläden klappern, klappern die Kastagnetten. So bekommen rucki zucki die Bluesvertriebenen vom November nordwestlicher Prägung nichts mehr mit. 

     Aber infolge Corona und Covid 19 fliegt es sich mit der A-319 nun nicht mehr so fix nach Teneriffa an den Teresitastrand. Das kann auch hautschonende Nebeneffekte haben. Wer pellt schon gerne? Und, machen wir uns nichts vor, zu viel Samba mit Rambazamba ist auch nicht immer ohne. Das kann Kräfte rauben, doch wer’s will, soll sich’s erlauben.  

     Es geht auch anders. Wie? Anders. Ich bleibe, wo ich bin. „Ist das denn noch zeitgemäß?“ „Ja.“ „Ja, warum auch nicht. Bald ist ja auch schon wieder Dezember; Dezember mit Nikolaus, Weihnachtsmusik, leckeren Plätzchen, Punsch …“ „Nein.“ „Wie, nein?“ „Nein.“

     So weit ist es doch noch gar nicht. Noch ist November.  Auch das ist, zeitgemäß, unzeitgemäß. Immer gleich vorweg schon etwas erleben zu wollen, was aus dem zeitlichen Rahmen fällt, fällt von Natur aus durch. November ist November. Auch nicht schon ein bisschen Dezember. Geht uns das auch quer, es wäre nicht fair. Wir müssen es nur anders angehen. Wie? Anders. Eigentlich gar nicht anders. Nur so, wie es ist.

     Bei herbstlich nordwestlichen Strömungen mache ich es mir gemütlich. Besonders im November. In der Abenddämmerung zünde ich die faustgroße Bienenwachsstumpenkerze an und rühre in einen heißen, kräftigen und honigsüßen Kakao einen Jigger Asbach. So kredenze ich mir einen Lumumba.Dabei wäre vielleicht sogar Samba möglich. Möchte ich aber gar nicht. Der Lumumba ist mir genug. Doch auf knuspriges Spritzgebäck möchte ich nicht verzichten. Soll’s doch krümeln.

     Ich verkrümel mich in meine Lieblingsecke mit dem Buch, was ich schon immer mal lesen wollte. Nun das Leselämpchen an, den Sessel noch ein wenig näher an’s Licht gerückt, ein großes Kissen in den Rücken, die Beine hoch, die leichte und doch kuschelige Alpacadecke darüber und dann … Dann sollen sie an den Sonnenstränden Samba tanzen. Mir ist nun Vivaldi lieber.

     Was mehr? Nichts mehr.

Otto Pötter, immer wieder schön zu lesen.
Im Aschendorff Verlag Münster gibt es gute Lesekost von ihm.