Ems

Hochdeutsche Fassung von Otto Pötter

Bild: pixabay

Kreuzworträtselfrage: Fluss in Nordwestdeutschland mit drei Buchstaben? Ems. Ems? Ja, drei Buchstaben genügen. Charakteristisch für Land und Leute könnten dafür auch diese drei Wörter stehen: ebenerdig, malerisch und sehenswert. Und für die, die mit der Ems verbunden sind, genügt ein charakteristisches Wort, emsig – dabei immer auch echt. Und ehrlich. Ohne Schnickschnack. Kein Getue. Aber deftig weg. Was zählt ist Zuverlässigkeit, nicht Dicketun. Bloß keine Flitzen, kein Tamtam. Glaubwürdigkeit braucht kein Getue. Das Original genügt. Ems, da weiß man, was man hat. 

     Entsprechend sind die Leute hier, schlicht und einfach, aber zuverlässig; unaufgeregt, aber resolut; gelassen, aber couragiert. So geht’s durchs Leben – so wie die stille Ems sachtweg von der Quelle bis zur Mündung gleitet. Begleiten wir sie. Gleich fällt auf: Alles im Fluss, ohne Überfluss. Heel best, buuten un binnen. Von wegen außen hui und innen pfui. Geh mir weg. Nänä. So nicht. Wer am meisten pucht, hat am wenigsten in der Tasche. Kirchentreu heißt es: Halte dich ans elfte Gebot. Und das gibt’s nur an der Ems: Laot di nich verbluffen. Lass dir nichts vorweismachen. Gepinselte Blumen riechen nicht. Besser sie werden gepflegt und bekommen beizeiten Dünger. Guck dich män um, statt Dicketun ist immer was zu tun. Und wenn mal nichts zu tun ist, findet sich schon was … Es sei denn, is Feierabend. So wie Sonntag Sonntag ist, ist Feierabend Feierabend. Alles zu seiner Zeit. „Wofür hätten wir sonst ne Couch?“ Das heißt hier auch: Ressen (rasten, ausruhen), nicht rumhängen, nein, sich erholen, um neue Kraft zu schöpfen; die Muße genießen und gerne mal die Beine hochlegen. Vielleicht schön was lesen dabei. Bloß keinen Freizeitstress – nicht gleich wieder hier hin und da hin. Besser Ruhe. Alles schön sachte an.   

     Wie die Ems, so die Emsanrainer. Buuten – kein roter Teppich. Wofür? Lieber hat man es grün ums Haus. Rasen, fein kurzgehalten; Sorte Mitteldicht, strapazierfähig. Binnen –  gerne Raufaser; neutral, anpassungsfähig und funktional. Keinen übertriebenen Wohlstand. Nicht sich zeigen. Dafür aber behaglich. Auch wenn die Türen nicht sperrangelweit offen- stehen, dringt‘s gastlich goetheähnlich nach außen: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. Denn wie des Menschen wahrer Himmel, scheint hier zufrieden Groß und Klein“ (nach Faust I, Vers 940). Was mehr? Nix mehr. Guck dich doch um. Das reicht. Auch das ist nicht ohne Poesie. Schau einfach nur genauer hin …

Kein schöner Land in dieser Zeit,
als hier das uns’re weit und breit
Wo wir uns finden, wohl auch noch unter Linden
nicht nur zur Abendzeit …

Ja, schau nur mal genauer hin, bis dir aufgeht: Ich sehe was, was du nicht siehst – und was sieht man plötzlich nicht alles:

Stille Buntbrachen, seitlich vom Wasser
Wasserläufer auf sonnenspiegelnden Auen
Dümpelnde Pünten im Schilf
Fernab am Ufer, wasserstippende Angelruten
Struppige Kopfweiden, in die Jahre gekommen
Kornschwere Ähren, lässlich im Wind wiegend
Stille Pferdekoppeln
Wuchtige Findlinge
Pricke Höfe
Blumengeschmückte Herrgottswinkel
Stundenschlag von stillen Dorfkirchen her
Bänke zum Klönen

… und immer wieder Originale mit Alltagsgeschichten, Emsköppe mit Ecken und Kanten, voll da, mit reichlich Lachfalten. Diese kernigen Käuze können das, was viele heute nicht mehr können, mit einem Augenzwinkern ungerührt das Wasser über Gott’s Land laufen lassen. Und doch:

Wabert Nebel um das Haus.
im Finstern gar der Kauz noch schreit
„komm mit!“, dann ist’s soweit.
Dann zieht des Spökenkiekers Stirn sich kraus.

Dann kick he sick wat bineene. Soll er. Hauptsache, er „geht nicht stiften“, wenn’s mal stürmt. An der Ems lässt man sich von alldem nicht unterkriegen. Da heißt es noch bei Windstärke 10: „Was kommt, das geht auch wieder“,und bei 11 schon mal: „Oha.“ Hauptsache Fenster und Türen sind alle gut dicht. Dann geht’s. Buuten un binnen. Dann woll’n wer’s uns mal schön gemütlich machen. So ist das hier. Und bleibt’s bewölkt? Na und … Dann ist er eben schön grau, der Himmel. Warum immer blau? Ein Emshimmel immer azzuro! Schönschön, aber das ist nicht so recht was für hier. Nein. So eine Ems schiene ja wie geschminkt, unnatürlich zurechtgemacht. Mama mia. Nein. Die Ems ist mehr als nur schöne Kulisse. Sie macht auch keine großen Sprünge, oder besser gesagt Wogen. So was haben die Menschen wohl von ihr abgeguckt.  An sich sind die Emsköppe denn auch gar nicht so unfreundlich, nur nicht so sehr gesprächig, wenn mal was is. Dafür heißt es hier: „Mehr müern, statt küern“ (mehr mauern, statt Gerede).

     Wie schon bei der Ems drei Buchstaben reichen, reichen oft auch schon mal drei Worte: Löppt? Muss. Schönschön. Gelegentlich sind’s auch wohl mal zwei Worte mehr: Geht’s? Geht. Dann geht’s ja. Wer mehr erfahren will, schaue sich das hier doch selbst mal an. Das sagt mehr als viele Worte. Jaja, so ist das hier.

Hier schätzen wir zu jeder Zeit
emsheitere Gemütlichkeit.
Ob Döönken oder Minnemär,
ob wenig Worte oder mehr,

ob drollig oder sachte an,
zuweilen gern gar mit Gesang.
Nicht minder wird wohl auch geschwiegen,
um Schwieriges gut hinzukriegen.

Ach, was soll die Rederei,
am besten ist, man ist dabei.
Dann zeigt sich‘s, ohne anzugeben:
An der Ems, da lässt sich’s leben.

Reisen bildet ja bekanntlich. Mit dabei zu sein vermittelt auch sicher gleich einen besseren Blick auf’s malerische Münsterland, dem wiesenweiten stillen Emsland und dem stilvoll sturmerprobten Ostfriesland. Reisebürokosten kann man sich sparen. Von wegen: Außer Spesen nichts gewesen. Nicht an der Ems. Besser man geht schön sitzen in einem Dorfkrug und isst was Gutes.Da toppt in einem fachwerkschmucken Landgasthaus ein Buchweizenpfannkuchen jedes Cordon bleu. Und wenns noch was mit Sport sein muss, tun es per pedes Laufschuhe oder ne Fietse. Alles ohne Brimborium. Ohne sich dafür in die Kurve zu legen. Warum? Geht doch schön liekuut, liekan (geradeaus). Dazu braucht’s keine E-Bikes, unplattbare Crosskreuzer oder schnurrende Treckingtourer mit Ballonreifen. Ah was. An de Füße tut es gern auch die Sandale und unterm Hintern was Bequemes. Es braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Warum immer gleich so einen Aufwand? Kanu wäre ebenso emstauglich. Sehr sogar. Egal. Was zählt, ist ankommen, nur nicht umkommen. Für gute Emslaune reicht das.

     Und wenn dann gar sommerabends am knisternden Lagerfeuer die Laufschuhe ausdünsten, das Kanu träge im Schilf dümpelt, am Firmament die funkelnden Lichter zu leuchten beginnen und jemand die Klampfe schlägt, kann ruhig bei Capri die rote Sonne im Meer versinken. Auch erübrigt sich die singende Frage: Weißt du wieviel Sternlein stehen? Wer weiß das schon? Da wollen wir Gott auch gar nicht reinreden. Hat er sie nicht gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet? Was mehr denn noch? Also geben wir lieber mit derselben Melodie gerne kund:

An der Ems hier ist’s am schö-öönsten
in der wei-eten, weiten Welt …

Heimatschmarren? Was soll’s? Hauptsache nicht Kaiserschmarren. Aber jenseits des Weißwurstäquators greift man auch nicht gleich zur Lyra, da wird ebenso gern das Hackbrett geschlagen. Und wenn es hier schon nicht der Trecksack ist, so dann eben die Mundorgel … Also da capo: An der Ems hier ist’s am schönsten in der weiten, weiten Welt.  Uns gefällt’s. Binnen Hingabe, buuten Zugabe. Dabei von der Ems her noch eine kühle Brise und morgen geht’s munter weiter. Immer an der Ems lang.

     Obwohl kurz der Name und kurz der Fluss, zieht es sich mit der Ems. Sie ist zwar mit 371 km der kürzeste Fluss Deutschlands, aber just in dieser Kürze liegt die Würze. Nichts für Kreuz-, mehr was für Kanufahrer.

     Handgepäck, statt Sonnendeck. Paddeln, statt daddeln. Einige Schleusen nur, um auf Augenhöhe zu bleiben. Und schon geht’s sachte weiter. Nur zu, wir paddeln gerne – und streicheln dabei sogar, plitsch-platsch, die Ems. Dabei fängt alles so unscheinbar an. In der Sennebauernschaft Moosheide, nordöstlich von Hövelhof bei Paderborn entspringt die Ems; doch kann da von „springen“ keine Rede sein. Tropfen quillen mehr so hier und da zwischen Nadel- und Blätterstreu, umkringeln Farngrün und die ersten kleinen Rinnsale rinnen um Rauken, belecken dürre Ecken, umlüllen kleine Kiesel, sabbern am Schachtelhalm und erquicken hängende Quasten von filigranem Farn, die wie grüne Fächer im feinen Wind wedeln. Darunter und daneben laufen schon mal puschige Moospolster wie Schwämmchen über. Na, wo kommt denn das viele Waser her?

     Doch was da im Winden und Wenden noch quillt und rinnt, beginnt sich bereits schlängelnd zu strecken. Hört, hört! Nach den ersten wenigen Kilometern plätschert es schon! Und dabei bleibt es nicht. Es kluckert und fließt. Mehr noch, das Fließen wird drängender. Was sich da nun so im Ostwestfälischen, am Süd-West-Hang des Teutoburger Waldes (wo sich einst die Germanen mächtig mit den Römern hatten) zwischen Sand, Äckern und Wiesen durchmäandert, entwickelt sich kilometerweit bis zur Mündung oben an der Küste zu einem stattlichen Fluss.

      In der Nähe von Rietberg und Wiedenbrück beginnt unweit von Harsewinkel ihr Weg durch das Münsterland über Warendorf, Telgte, Greven, Emsdetten und Rheine. Hier schmücken bereits einige Städte ihren Namen als Zusatz mit den drei Buchstaben, so auch Rheine – an der Ems. Da, hinter dem so romantisch im Wald gelegenen Kloster Bentlage, in Nähe der gesund rieselnden Salinenanlagen am Rheiner Zoo, führt ihr Weg weiter über Salzbergen in den benachbarten Kreis Emsland. Hier also prägt ihr Name sogar einen bedeutenden Landkreis. Und überall ringsum stattliche Höfe seitab von gepflegten Dörfern.

Man sieht, dass es hier die Menschen buuten un binnen gerne schön prick haben und sich dabei auch vor harter Arbeit nicht drücken.

Allerorten schinnt et Art,
as wenn sick Hiärwst un Fröhjaohr paart;
Maol lacht de Sönn, maol schuert et natt,
egaol, liekuut geiht hier de Patt.

Nicht Sommerpartys mit Tamtam,
kein Winterzauber mit Gesang,
nichts Exaltiertes, wie von Sinnen,
aber wohlig – buuten, binnen.

Hier braucht es keine große Show,
da reicht im Zirkus schon ein Floh.
Doch emsig ist man wohl auf Zack
und scheut auch keinen Schabernack.

Auf dem Tisch steh’n nicht nur Blumen,
lieber Teller, mit Volumen.
Nach Hausmannskost auch gern ein Bier,
so geh‘n sie’s an, so sind sie hier.

Schlicht und natürlich geht es zu.
So wie die Kuh wohl mal macht „Muh“
und dabei wohlig wiederkäut,
so wohl gediegen sind die Leut‘.

Will auch jemand dreist wohl drängeln
bleibt er an ‘er Schleuse hängen.
Ruhe dann, Geduld, bescheiden;
denn Plustern kann man hier nicht leiden.

Und wem das alles nicht gefällt,
der geh‘ nur in die weite Welt.
Doch unsereins weiß wohl Bescheid:
Kein schöner Land in dieser Zeit …

Wir brauchen’s schöner nicht als schön;
wem das nicht passt, der soll män geh’n.

Ungeachtet verlockender Reisekatalogangebote zeigt sich uns die Ems, wie sie ist. Nicht mehr und nicht weniger nun auch im Emsland. Hier windet sie sich über das Listruper Emswehr auf Lingen zu, dieser schönen alten Emsstadt, die von 1597 bis 1702 noch als Stadt der Oranier zum Gebiet der Niederlande gehörte. Nun denn, sei es so: Tot ziens! Davon ungerührt nimmt die Ems weiter ihren Lauf über Meppen, Haren, Lathen, Dörpen und Rhede.

     Dass wir in den beschaulich grünen Weiten des flachen Emslandessind, ist an den schwarzweiß gescheckten Kühen auf den endlosen Wiesen zu erkennen. Diese Rindergattung wurde um 1800 aus den Niederlanden eingeführt (war da nicht was mit Lingen?), als die bis dahin kleinwüchsige, rotbunte und krankheitsanfällige großhörnige Rasse mit rund einer halbe Million Tieren an Rinderseuchen eingegangen war. Seitdem sind Ems- und Ostfriesland „schwarzbunt“.

Bei Dörpen liegt der Zusammenfluss von Ems und Küstenkanal. Der verbindet über Oldenburg die Ems mit der Weser. Hinter Rhede ist die Ems eingedeicht. „Emsdeich“, wer weiß schon, dass diese geschlossenen Schutzhügel als kilometerlange Flussbauwerke vom Bauvolumen her den Bau der Pyramiden weit übertreffen. Aber selbst das hängt keiner hier an die große Glocke. Was zählt ist, dass es nutzt, das, worauf es ankommt.

     Herden von zahllosen Schafen halten auf dem Emsdeich die Grasnarbe kurz und treten emsig mit ihren Hufen den Untergrund fest. So strebt die Ems nun „kultiviert“ über die malerisch ostfriesischen Städte Weener und Leer auf die alte See- und Handelsstadt Emden zu. Ganz in der Nähe musste der 1401 in Hamburg öffentlich hingerichtete Seeräuber Störtebecker (* 1360) nach verlorenem Kampf in der Emsmündung bei Marienhafe klein beigeben. Hätte er sich doch erst gar nicht hierhingewagt, denn so Typen sind an der Ems nicht gut gelitten. Hier gilt nach wie vor der Emsparagraph 1: Tue recht und scheue niemand. Absatz 1: Unrecht Gut gedeihet nicht. Also bloß keine krummen Sachen. Solche kriegen es mit uns zu tun. Dann schäumt sogar auch mal die Ems. Immerhin ist sie „hier oben“ sage und schreibe gut fünfhundert Meter breit!

     Und doch: Als wolle sie noch mal so richtig tiefstapeln, durchfließt die Ems bei Pogum die tiefste Fläche Deutschlands. Da hinten im Rheiderland gleitet sie bei 2,50 Meter unter Normal Null dahin. Dort ist auch noch von den einst vielen Emsfähren immer noch die nördlichste Motorfähre von Ditzum nach Petkum in Betrieb. Nur en Stücksken weiter hoch aber geht es nun endgültig von binnen nao buuten. Da ergießt sich die Ems mit täglich rund einer Milliarde Kubikmeter Wasser in die weite Dollartmündung vor Borkum in die Nordsee. Ahoi.

      Typisch Ems. Die große Fahrt überlässt sie den andern. Dabei ist sie mit soviel Wasser als Ems schon gar nicht mehr zu erkennen. Schade. Doch statt mit Ahoi schippernd aufs Meer hinaus, ist mir lieber ein landeinwärts gerufenes niederdeutsches „Tschüs!“ Dabei klingt noch mit durch: „Man sieht sich …“ Das ist mir lieber als Wer weiß, wann wir uns wiedersehn. Von mir aus denn auch gleich wieder retour – nun bis zur Quelle. Warum nicht? Immer an der Ems lang. Da weiß man, was man hat.  

Emspoesie am Kloster Bentlage bei Rheine – Foto privat