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Plattdeutsch – Hochdeutsch

Kömm schön rin,
dann kanns fideel nao buuten kieken.

Bild: pixabay

Diese freundliche Einladung passt sehr gut als Metapher zum Sprachempfinden zwischen Hoch- und Plattdeutsch. In unserem Beispiel will uns der Blick hinaus in die Welt aus der behaglichen Atmosphäre des heimatlichen Hauses verdeutlichen, dass unser vertrautes Beziehungsgeflecht den Blick nach außen hin widerspiegelt. Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) meinte:

Wo das Wort von zuhause bei mir ist,
finde ich zuversichtlich auch in der Fremde einen Weg.

Auf Platt ließe sich darauf antworten: „Dann män liekuut, liekan“. Denn zu viele Wegweiser verunsichern. Stimmt aber so etwas wie die Witterung, gillert Bangemaaken nich; denn achter’n Buschk liäwet auk bloß Lüe. Un dann hör män hen: „An de Spraoke kenn ji de Mensken.“

Wird es kompliziert, reagieren wir distanziert. Nun ist das Hochdeutsch aber eine Schriftsprache, also mehr auf Korrektheit hin ausgerichtet; das Plattdeutsch hingegen ist eine Herzenssprache, wo mehr Gefühle zum Ausdruck kommen. Zählt einerseits mehr die Genauigkeit, ist andererseits mehr die Sinnhaftigkeit von Bedeutung. Als Metapher könnte für das Hochdeutsche der Kopf und für das Plattdeutsche das Herz stehen. Verzerren sich die Pole allzu sehr, klingt die Sprache nicht mehr echt. Dann geiht et nich mehr liekuut, liekan – dann kömmes debi in‘ Knüpp. So fröög auk …

nen Klookschieter Meyers Gerd es maol:
„Also mir oder mich, is ju dat egaol?“
„Oh nä“, reip Gerd, „noch lange nich!
Wi sägget hier mi – un Goehte sägg mich.“

Na, bitte. Sonst noch Fragen? Da braucht es keine komplizierte Wortakrobatik, ach was, dafür bringt eine umso treffendere Bildanalogie die Aussage sogleich auf den Punkt. Beispiel? Bitte:

Keggen rieke Lüe prozessen un keggen den Wind anpissen,
dat geiht immer an de eegene Buxe.

Damit ist alles gesagt. Hierzu meinte denn auch einmal Josef Winckler (1881 – 1966) aus Rheine, der Dichter des Tollen Bomberg:  „Beim Plattsprechen gilt: Immer schön gerade heraus. Zuge-geben, manchmal klingt es ‚butt’. Aber jeder weiß, dass es ‚so’ nicht gemeint ist. In diesem kauzig-knorrigen Sprach-gut werten Münster- und Emsländer ganz nach ihren eigenen Maßstäben. Und es ist schön, dass es das noch gibt.“ Die Betonung liegt auf das Wörtchen  n o c h… Denn:

Us schöne Plattdüütsk is heel aolt –
et ligg an us, off wi et haolt.
Wi mött’ e wat an doon – „gar sehr“,
süss giff et baoll kien Plattdüütsk mehr.

     Das wäre traurig, denn damit ginge ein uraltes Kulturgut unserer Heimat verloren, eine Sprache voll eigenem Klang und charakteristischer Reize, in der die Träume und Lebenserfahrungen unserer Vorfahren in einmaliger Art und Weise eingefangen sind; eine Sprache, von der es heißt:

Witt orre swatt, drüüg orre natt,
groff orre fien – echt mott et sien!

     Anton Hilckmann (1900 – 1970 aus Bevergern, der Gründer des Instituts für vergleichende Kulturwissenschaften, schrieb denn auch einmal im Rheinischen Merkur:  „Aus der von mir so geliebten und altvertrauten platt-deutschen Sprache könnte ich auf Anhieb eine Liste von Hunderten wunderbar ausdrucksstarker Wörter und Ausdrücke zusammenstellen, die sogleich wie Pott auf Deckel passen, für die es aber im Hochdeutschen keine Entsprechung gibt. Daher ist eine reine Übersetzung ‚Wort für Wort’ gar nicht möglich, weil dann das Wesentliche des Gesagten nicht mehr übereinstimmt.“

Überreinschwingt möchte ich noch lieber sagen, denn erst die emotionale Seite einer Sprache bringt die Seele in uns zum Schwingen. Dagegen ist zu beobachten, dass durch die Zuspitzung der Sprache auf eine Fachterminologie mit immer tonloseren Konsonantenfolgen ihr Wohlklang verloren geht. Statt dass die Seele mitschwingen kann, schwirrt uns der Kopf durch immer mehr fremdwortverklausulierte Substantivbildungen. Immanuel Kant (1724 – 1804) sagte: „Fremde Wörter verraten entweder Armut, Nachlässigkeit oder Arroganz.“ Ja:

An de Spraoke kenn ji de Mensken. Pott un Schort is eine Aort. Wie wahr. Topf und Scherbe sind von der gleichen Art. Drum bleib identisch, zier dich nicht lange: Komm harin, dann kanns schön nao buuten kieken.

Und schon empfinden wir mit Wohlbehagen die Verbundenheit mit dem uns Zugehörigen. Da schwingen Herz und Seele mit. So macht auch das Fremde nicht sogleich Angst. Wir spüren Heimat  ohne Heimattümelei. Wir fühlen, da ist immer noch viel, auch wenn wir lange nicht mehr da waren… Und es drängt irgendwann zur Rückkehr. Wer mit dem Herzen nicht irgendwann zurückkehrt, der bleibt im Kopf hängen“, dem fehlt letztlich etwas; etwas wonach sich die Seele sehnt. Mir selbst ist es so ergangen, als ich nach mehrjährigem Aufenthalt in Übersee wieder zurückkehrte. Ich drückte es so aus:

Ick sin de wier

De Wind strieket noch jüsteso
mi – es vör Jaohren – üöwer’t Haor.
As jung ick daomaols göng, heel froh,
dao streek dört Haor mi auk mien Muor.

Nich Vaa, nich Moder bünd de mehr,
auk Bello kläfft nich mehr harüm.
Doch singt dat aolle Iemsewehr
noch immer met de lieke Stimm.

Un auk van’ Kerktaon lutt se noch
genau es fröher, use Klock.
Auk nu is se jüst wier antoch,
met Wucht de Schlag – un gar nich drock.

Et is, as reip se mi: komm… komm…
mit iähren ruhigen Klockenschlag.
Bedächtig kiek ick hauch, baoll’ fromm,
un hör mi säggen: „Ach, ach, ach…“

Ganz still is’t üm mien Öllernhuus.
Nich es mehr dampen döt de Uo’m.
Ick staoh daoför un doo nen Gruß
in Richtung Kerkhoff – un nao buob’n…

Wo fröher miene Weige stönn,
gaoht anner Lüe nu in un uut.
Off ick es schell? Nen Blick mi gönn?
Ick laot’ un denk, dat is nich gut.

Man kann de Tiet nich trügge dreihn.
Un doch föhl ick mi guet wier hier.
Wat doo ’k van binnen mi doch freun:
„Ick sin de wier! – Ick sin de wier!“

Dagegen beschreibt Franz Kafka (1883 – 1924) „eine verunglückte Heimkehr“ wie folgt:

 „Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Weg durchschritten und blicke mich um. Es ist mein Elternhaus. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinander verfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert am Geländer… Wer wird mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür in der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee wird wohl gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zuhause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Mein Elternhaus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte… Und jetzt? Was mache ich? Ich wage nicht an die Tür zu klopfen; nur von Ferne horche ich stehend, um nicht zu stören. Und weil ich von der Ferne lausche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was aber jetzt dort in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden. Ich spüre: Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will?“

Bild: pixabay

Kafka hat es treffend formuliert, „je länger man vor der heimatlichen Tür zögert, desto fremder wird man“. Das ist das Geheimnis dieser Parabel: Das „Un-Heimliche“ bedrückt, es macht Angst. Angst kommt von lat. angere (beengen), entstanden daraus das deutsche Wort „Enge“.

Wann fühlen wir uns denn wirklich frei? Wann geht es uns so richtig gut? Eben nicht, wenn nur der Verstand Recht bekommt, sondern immer nur dann, wenn Herz und Seele sich weiten (können).      Kafkas Heimkehrer hätte sich ja auch sagen können: „Stell dich doch nicht so an, dir geht es doch auch woanders gut.“ Aber nein. Unser Herz hat eben seine Gründe, die der Kopf oft nicht versteht. Und so beginnt er vor seinem alten Elternhaus von früher zu träumen; seine Gedanken malen Bilder seiner Kindheit… Ick sin de wier – da, wo ich verwurzelt bin.

„Unser ganzes Empfinden entspringt einem „narrativen Geist„, meint denn auch der französische Evolutionspsychologe Pascal Boyer. Das heißt, wir sind es nicht nur gewohnt, sondern wir selbst drängen auch immer danach, das, was uns bewegt, in bildhaften Geschichten darzustellen.

Es ist eben nicht alles nur Logik.

Neugierig, wach und lebendig machen uns denn auch sogleich die bildhaften Geschichten im plattdeutschen Döönken. Der narrative Geist, der in dieser ganz eigenen, regional geprägten Form der Kurzgeschichte aufblitzt, ist geradezu herzerfrischend. Das Wort „Döönken“ wird leider allzu häufig gleichgesetzt mit einem Witz, der das Landleben in einer oft ziemlich beschränkten Art und Weise karikiert. Wer so mit dem Plattdeutschen umgeht und auch noch meint, Platt zu können, erweist dem Plattdeutschen einen Bärendienst. Denn:

„Döönken“ geht auf Tun – doon – zurück. Es entstammt der alten indogermanischen Wortwurzel « dhon » und ist in dieser Form bis heute noch im Osten sehr verbreitet. Denken wir nur an das russische Parlament, die « Duma», auch darin steckt das Tun. Mehr noch. Sprachforscher meinen, damit hinge ebenso „der Ton“ zusammen, der über den Klang hinaus ja auch weit mehr noch ausdrückt; man denke nur an den « guten Ton », womit alles andere als Musik gemeint ist. Vielmehr kommt mit dieser Bezeichnung unser Tun zum Ausdruck – und zwar in erster Linie, wie wir es tun! Genau das wird in einem netten „Döönken“ auf einzigartige Weise beschrieben:

An de Spraoke kenn ji de Mensken. Und was tut sich nicht alles so im Leben… Das sind nicht nur kauzige Gegebenheiten. Ein gutes Döönken beschreibt ebenso auch die nachdenklichen Seiten des Lebens. Dann bewegen uns feine Wortspielereien, die Zartes in uns zum Klingen bringen und „sacht-sinnig“ Herz und Seele weiten. All das ist mehr als nur Information – es geht über die zumeist sehr verkopfte Schriftsprache weit hinaus und macht warm ums Herz, so richtig schön mollig warm.

So zeigt sich uns Kultur von ihrer schönsten Seite. Kultur setzt gesprochene Erinnerungen voraus. Erst daraus kann sich ein gemeinsamer Mythos entwickeln. Das Wort Mythos entstammt dem Altgriechischen und bedeutet: erzählen. Unsere Sprache dient denn auch dazu, das Denken gut zu fixieren, das Handeln sinnvoll zu regeln, die Sitten und die Tradition verständlich zu machen, die Gefühle stimmig zu ordnen und nicht zuletzt die Bilder unserer Phantasie einzufangen – also unser Leben schön und „stimmig“ zu gestalten. So zeigt sich in der Sprache auch, wie wir zum Leben stehen und wie wir miteinander umgehen: An de Spraoke kenn ji de Mensken. Kommt in ihr immer weniger Herzblut zum Ausdruck menschelt es nicht mehr.

Bild: pixabay

Dem oft so bedauerten unnahbar kalten Umgangston beugt gerade das Plattdeutsche vor, weil uns dadurch – „immer fein sachte an“ und „schön bedächtig weg“ – mollig warm ums Herz wird.      „Mollig“ kommt von mahlen. Beim Mahlen entsteht Wärme, schnell und hastig aber entwickelt sich Hitze. „Hitziges“ vermasselt den Ertrag. Wird hingegen ohne Hast und Eile, das grobe, harte Korn geduldig behandelt, wird feines Mehl für köstliche Speisen daraus. All das steckt in „mollig“. Allein dieses schöne plattdeutsche Wort könnte uns so viel erzählen – und schon regt sich in uns wieder unsere „narrative Eigenart“…

Ohne dass es uns immer bewusst ist, drücken wir uns entlarvend präzise aus, wenn wir vom Erzählen sprechen. Dabei zeigt sich immer etwas, was „zählt“ im Leben, etwas, das mit besonderen „Eindrücken“ verbunden war, sich also – im wahrsten Sinne des Wortes – in unser Gemüt „einge-drückt“ hat. Deshalb ist es erzählenswert“. Da zählen nicht in erster Linie Fakten, keine – noch so auf Punkt und Komma glänzenden – Zahlen oder Leistungsergebnisse. Nein. Das allein macht nur kribbelig. Farbe und Leuchtkraft gewinnt eine Erzählung erst, wenn darin so ein molliges Empfindungen unserer Seele aufleuchtet, wenn Träume und Phantasien lebendig werden, ja, wenn Freud und Leid unser Herz bewegen. All das spiegelt sich in einem guten Döönken wider. In diesen originellen Schilderungen zeigt sich uns etwas, worin wir selbst uns wiederfinden – und uns denn auch sogleich heimisch fühlen. Das lässt uns mit Wohlbehagen bei uns selbst einkehren. Man fühlt sich an Trakl’s Winterabend erinnert: „Wanderer tritt still herein…“

Komm harin, dann kanns schön nao buuten kieken. Und wie schön klingt da dann noch so

Mollig Platt

Plattdüütsch, dat is mehr äs schön.
Dao schüürt sick nich dat Hiärt bi wund.
Ganz anners äs so Wortgedröhn,
mäck mollig Platt de Siäl gesund. 

Us Plattdüütsch is so warm, so riek,
et hät de schönsten Wäört‘ för us.
Met jede Spraok steiht Platt sick liek –
un dat ohn Falsk un ohne Stuss. 

Met Platt lött fien et sick nett ulken.
Auk butt lött derbe sick wat säggen.
Doch drägg dat Platt us auk up Wulken
un kann in Moll ümt Hiärt sick leggen. 

Dann klingt et mollig, deftig, sacht.
Un sinnig is et us tomoot,
as harren Engelkes wat bracht –
män nich met Flittkes, still, to Foot. 

Dat Herdfüer knackt. Lutt dao wat druut?
Wi kiekt un hört – nen Kloss, de singt.
Ansüss so nix. Bloß still, nich luut –
is dao auk wat, wat in us klingt?

Et schwingt wat nao, wat lange wör,
as woll et us maol wier wat säggen.
Un mollig geiht us fien wat dör
un döt de Siäle sachte wäggen.  

Et weiget us, wat dao so klingt.
Wi föhlt us licht, behaglick, froh.
As wenn van wieden us wat winkt,
kömmt wunnerbar wat up us to… 

Ja, Hiärt un Siäl werd mollig warm,
kömmt Platt in Moll statt Dur deher.
et is, as wäögt‘ de Moder us in‘ Arm –
man will dann gar nix änners mehr.

©  Aus: Liekuut, liekan – Mollig Platt, S. 170 – Verlag Aschendorff Münster , 2017


Foto: Atelier Kargel

Otto Pötter, Rheine (* 1948)

Autor beim Aschendorff-Verlag Münster
Kulturpreis der Stadt Rheine (2012)

Bücher

erschienen im Aschendorff-Verlag Münster

Liekuut – liekan
Hackemaih
Notizen von Fietsen un Miezen
Bömmskes un Bömmelkes
Kalennerblättkes
Froh zu sein, bedarf es wenig
Das Lesebuch von der Ems  (Antiquariat, da z.Zt. vergriffen)

CD

„So is se, use Art“
Liekuut, liekan

Hörbuch – DVD

Liekuut, liekan dört Jaohr

CD + DVD-Bestellungen unter Telef.: 0 59 71 – 40 54 15
(mo – fr 10 – 12 und 15 – 17 Uhr)